11. Dezember 2025
Lynn
Über mentale Gesundheit zu sprechen, ist noch immer mit Barrieren verbunden – sowohl mit eigenen Hemmschwellen als auch mit systemischen Rahmenbedingungen, die Offenheit erschweren. Warum fällt es uns so schwer, klar zu benennen, dass es genug ist? Und wie ehrlich darf oder sollte man sein, wenn die eigene Psyche eine Krankschreibung notwendig macht?
In Folge #38 von Turn Tourismus Around greifen wir diese Fragen auf. Wir sprechen über psychische Belastungen am Arbeitsplatz, über Arbeitsbedingungen und branchenspezifische Herausforderungen und darüber, was Unternehmen ebenso wie jede einzelne Person tun können, um Belastung zu reduzieren und gesundes Arbeiten zu ermöglichen.
Wenn euch diese Themen ebenfalls beschäftigen, lest weiter. Wenn wir offen darüber sprechen, können wir Schritt für Schritt das Stigma rund um mentale Gesundheit abbauen.
Psychische Belastung am Arbeitsplatz
Psychische Belastungen am Arbeitsplatz sind weit verbreitet, dennoch bleibt die Krankschreibung deswegen häufig ein Tabu. Über ein gebrochenes Bein spricht man offen, doch wenn die Psyche streikt, wird es oft still und das obwohl das Thema im Unternehmensalltag hoch präsent ist. Die hohe Zahl an Krankheitstagen macht deutlich, dass es sich nicht um ein individuelles, sondern um ein strukturelles Problem handelt. Studien zeigen klare Trends: 52,7 Prozent der Führungskräfte und 65 Prozent der Beschäftigten sehen die steigende Arbeitsbelastung als Hauptursache für psychischen Stress* und rund 323 Arbeitsunfähigkeitstage je 100 Versicherte entstehen aufgrund psychischer Erkrankungen**. Viele Betroffene rutschen in eine Erschöpfungsdepression: Irgendwie geht es, aber eben nur noch am ständigen Limit.
Belastungsfaktoren im Tourismus: Branchenspezifische Herausforderungen
Die Tourismusbranche steht vor massiven Veränderungen, die das Arbeitsumfeld stark prägen. So entstehen neue Belastungsfaktoren, auf die reagiert werden muss. Umstrukturierungen und Digitalisierung verändern Geschäftsmodelle, KI hält Einzug, und gleichzeitig setzen Personalmangel sowie Nachwuchsprobleme Teams unter Druck. Überstunden, hohe Auslastung und klare Umsatzziele, insbesondere in der Hauptbuchungszeit, verstärken die Belastung. Schichtmodelle berücksichtigen zudem selten individuelle Arbeitsrhythmen. Auch die Krisenanfälligkeit der Branche ist nicht zu unterschätzen. Hinzu kommen hohe Erwartungshaltungen, verbunden mit dem Anspruch, die „beste Zeit des Jahres“ zu ermöglichen, die den Druck zusätzlich erhöht.
Was Unternehmen und Mitarbeitende jetzt brauchen
Ein wirksames betriebliches Gesundheitsmanagement ist zentral, um psychische Gesundheit im Job zu stärken und die Arbeitsplatzqualität nachhaltig zu verbessern. Prävention ist entscheidend: Gesunde Mitarbeitende sind leistungsfähiger, weshalb Unternehmen stärker investieren sollten, sei es durch flexible Arbeitszeitmodelle wie eine Vier-Tage-Woche oder durch Angebote für Social Support und Mental Health, etwa über interne Programme oder Apps. Nicht alles muss allein bewältigt werden. Besonders größere Arbeitgeber haben hier Ressourcen. Jedoch zahlen sich Investitionen und insbesondere eine offene Kommunikation für alle Unternehmensgrößen aus. Eine Arbeitskultur, die Belastungen ernst nimmt und Unterstützung anbietet, ist ein wesentlicher Baustein, um Stress frühzeitig entgegenzuwirken.
Wie wir besser mit Belastung umgehen können
Der Umgang mit Überlastung beginnt im direkten Austausch: Vorgesetzte müssen aktiv mit Mitarbeitenden sprechen und offen kommunizieren. Gleichzeitig erfordert es Feingefühl im Kontakt mit Kundinnen und Kunden, ohne den Eindruck zu erwecken, ein Projekt nicht stemmen zu können. Individuelle Lösungen wie ein Sabbatical können wertvolle Erholungsphasen schaffen und langfristig Effizienz, Kreativität und Bindung stärken. Offene Kommunikation normalisiert Belastungen: Nicht immer zu sagen „Alles gut“, sondern klar benennen, wenn man stark belastet ist. New Work bedeutet zudem, Arbeitsplätze so zu gestalten, dass sie Menschen entsprechen. Die Branche kann ebenfalls Druck rausnehmen, etwa durch eine bessere Verteilung über das Jahr der Branchen relevanten Veranstaltungen. Gesellschaftlich braucht es mehr Abstand zur ständigen Erreichbarkeit. Was dabei hilft, langfristig gesund zu bleiben sind Routinen, Ausgleichszeiten, Resilienztraining und echte Pausen ohne Arbeit.
Work-Life-Blending: Chancen und Risiken flexibler Arbeitsmodelle
Ein Stichwort, welches in diesem Kontext immer häufiger fällt, ist Work-Life-Blending. Es bietet die Möglichkeit, Beruf und Privatleben flexibel zu gestalten und ist ein Privileg, wenn man in einem Job arbeitet, der Freude bringt. Gleichzeitig liegt darin die Gefahr, dass Grenzen verschwimmen und die Erholung zu kurz kommt. Wer ständig erreichbar ist oder überall arbeitet, verliert definierte Räume für unterschiedliche Aspekte des Lebens. Deshalb braucht es bewusste Abgrenzung: Orte, an denen gearbeitet wird, und solche, die ausschließlich privat bleiben. Freiheit ist wertvoll, aber sie braucht auch klare Rahmen, um nicht zur Belastung zu werden.
Zusammenfassung
Mentale Gesundheit am Arbeitsplatz ist ein entscheidender Schlüsselfaktor für Zufriedenheit, Leistungsfähigkeit und nachhaltige Arbeitsstrukturen. Umso wichtiger ist es, mit dem Tabu rund um psychische Belastungen zu brechen und offen über Herausforderungen zu sprechen. Geld ist relevant, doch Lebenszeit lässt sich nicht zurückholen. Es ist legitim, Grenzen zu haben und sie klar zu kommunizieren, denn gesunde Arbeit entsteht dort, wo Menschen mitgedacht werden.
Das Thema hat euch neugierig gemacht? Dann gibt es in Folge #38 von Turn Tourismus Around noch mehr spannende Insights und auch ein paar sehr persönliche Anekdoten von Maren und Marvin.
Quellen
* Innofact AG & ias Stiftung – Befragung zu psychischen Belastungen am Arbeitsplatz (November 2024)
** DAK-Psychreport 2025
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